Timur Vermes – Er ist wieder da (Hörbuch-Rezension)

mädchen hört musik im bus

Einen schönen Tag, liebe Freunde schwarzen Humors!

 

Hörbücher sind eine ganz besondere Art & Weise, Bücher zu genießen. Auditives Lesen ist nicht jedermanns Sache und auch mir fällt es oft schwer, der Stimme meine volle Aufmerksamkeit zu widmen und mich nicht durch andere Dinge des Alltags ablenken zu lassen. Da kam es mir gerade recht, als Karla mich ansprach, ob ich nicht Lust hätte, bei ihrer Hörbuchchallenge 2013 gemeinsam mit dem Argon Verlag { zum Verlag } mit ins Boot zu springen und ihr mit kreativer Hand zur Seite zu stehen. Zwölf Hörbücher innerhalb eines Jahres zu hören, das sollte doch zu schaffen sein, dachte ich mir und da ich ohnehin schon vor Wochen mit Timur Vermes Politsatire »Er ist wieder da« unter die Hörbuch-Lauschenden gegangen war, war dies ja eine perfekte Gelegenheit, dieses äußerst witzige Buch endlich fertig zu „lesen“. Somit möchte ich euch heute dieses Buch vorstellen, das mich perfekt unterhalten aber auch nachdenklich gemacht hat.

Mitten in Berlin, im Jahr 2011

Adolf Hitler wacht im Frühjahr des Jahres 2011 mitten auf einem verlassenen Grundstück auf, ein wenig orientierungslos – kein Führerbunker, weder Reichskanzlei noch seine Frau Eva  und erst recht kein Krieg herrscht. Im Gegenteil, es herrscht tiefster Frieden, eine Frau steht an der politischen Spitze und Berlins Stadtbild wird geprägt von Bildzeitungs-Automaten und Dönerbuden. Als er schließlich in einer Tageszeitung das heutige Datum erblickt, kann er gar nicht so recht glauben was er da sieht und beschließt, auf eigene Faust die „alte Ordnung“ wiederherzustellen. Doch dies nicht ganz wie von Hitler erwartet, denn niemand nimmt ihn als Diktator wahr, für den er sich nachwievor hält, vielmehr amüsiert man sich über diesen „Doppelgänger-Komödianten“, der eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit diesem „Führer von 1933“ habe…

Darf man das? Sollte man das?

Die Frage, die man sich automatisch stellt, wenn man ein Buch über Hitler, nein sogar ein Buch mit Hilter liest ist: Darf man das? Timur Vermes‚ »Er ist wieder da« ist nicht sein erstes Buch, der Mann schreibt bereits seit 2007 als Ghostwriter Bücher. Nun hat er sein erstes eigenes Buch unter seinem Namen veröffentlicht und sich sogleich an ein Thema gewagt, das viele noch nicht einmal im Traum aufgreifen würden.

Sollte man Adolf Hitler, einem Mann, welcher so viel Leid in der Welt angerichtet hat, tatsächlich eine Stimme geben? Und sei es nur um einer Satire willen? Ich meine: Man sollte! Auch wenn jedem Deutschen reflexartig der erhobene Zeigefinger der Moral bei den Worten „Hitler“ in Verbindung mit „humorvoll“ aus der Ferne entgegen schwenken wird. Nein, Hitler selbst war nicht lustig, aber dieses Buch ist nicht Hitler, es bedient sich ihm nur. Ist das falsch? Nun, das sollte jeder für sich beantworten.

Der erste Eindruck

Stellt man sich derlei Fragen gar nicht erst, sondern lässt das Buch einfach auf sich wirken, wird einem zunächst das minimalistische Cover ins Auge springen. Man erkennt bereits von Weitem, wen die angedeutete Scheitelfrisur darstellen soll. Den mit Absicht als Bart positionierten Schriftzug kann man erst dann richtig lesen, wenn man näher heran tritt. Besser, treffender hätte man das Cover nicht wählen können. Es passt hervorragend zu einem Buch, das sich selbst an kaum einer Stelle ernst nimmt. Ich musste schmunzeln, als ich es sah, und ich schmunzelte weiter, als Christoph Maria Herbst auf seine unnachahmliche Art die ersten Worte des „Fööhrerrs“ sprach.

 

Kritik zwischen den Zeilen

Schmunzeln? Erlaubt. Lachen? Ja bitte! Timur Vermes hat ein Stück satirischer Komödie geschaffen, ein Meisterwerk erfüllt von schwarzem Humor, welches das neumoderne Socialmedia-Zeitalter aufs Korn und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt. Dieses Buch ist zurecht in aller Munde! Natürlich ist dieser Hitler ein Klischee. Er ist sowohl Mittel als auch Zweck, um Timur Vermes Buch von Anfang bis Ende zu tragen. Mit ihm lässt der Autor sein sozialkritisches Werk auf die Leserschaft los, konfrontiert diese mit sich selbst und hält uns vor Augen, das wir sogar im Angesicht des eigentlich absolut Bösen gar nicht mehr anders können, als in Allem einen einzigen Witz zu sehen. Wir lachen über einen Hitler, der völlig losgelöst aus seiner Welt, von einer urkomischen Situation in die nächste stolpert.

Wir müssen nun nicht weiter betonen, wie schrecklich das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte ist, aus dem der Protagonist, oder sollen wir sagen, der Schatten dieses Diktators entstammt. Hitler, NSDAP, Holocaust – wir alle wissen, was geschehen ist und es wird ausreichend dafür gesorgt, dass es auch niemals vergessen wird. Der „Fööhrerr“ in Vermes humorvoller Satire ist eine Witzfigur, anders kann man es nicht bezeichnen. Niemand nimmt ihn als das wahr, was er in seiner tiefen Überzeugung ist, oder sein möchte, niemand nimmt ihn als Diktator, als Respektperson wahr. Das ist auch gut so. In seiner Rolle als Komödiant also lässt der Protagonist kein gutes Haar an Deutschlands Gesellschaft & Politik, an seiner Parteilandschaft und erst recht nicht an deren Reformen. Von Hartz IV bis zum Euro, von der großformatigen Bildzeitung über Facebook bis zur neumodernen Musikszene auf Youtube und der jugendlichen Disziplinlosigkeit – es gibt kaum etwas, was Hitler nicht mit treffender, oft sehr ironischer Stimme in seine Bestandteile zu zerlegen weiß. Das Augenmerk des Buches lag dabei gerade auf dieser aktuellen Thematik und nicht auf der politischen Einstellung Hitlers, diese muss sich jeder selbst zwischen den Zeilen erarbeiten.

Gerade die Perspektive des Ich-Erzählers trägt maßgeblich zur ironisch-humorvollen Stimmung von »Er ist wieder da« bei, zumal der Autor uns nicht eine dummdröge Klamaukfigur vor die Lesernase gesetzt hat, sondern den scharfen, klare Linie fahrenden Verstand eines Strategen nachzeichnet, eines Analytikers, der seine Umgebung mit wachen Sinnen erforscht und nutzt. Gute, fundierte Recherche in Gemeinschaft mit intelligentem Schreibstil und authentisch gewählter Ausdrucksweise machen das Buch zu einem wahren Lese- und Hörvergnügen.

Ich erinnere mich, ich bin erwacht, es dürfte früher nachmittag gewesen sein. […] Es war vergleichsweise still, keine Einschläge in der Nähe, keine Luftschutzsirenen. Ich registrierte auch: keine Reichskanzlei, kein Führerbunker. Ich wandte den Kopf, ich sah, ich lag auf dem Boden eines unbebauten Grundstücks, umgeben von benachbarten Häuserwänden, aus Ziegeln gemauert, teilweise von Schmutzfinken beschmiert, ich ärgerte mich sofort und beschloss spontan, Dönitz heribeizuzitieren. […] Zuerst überlegte ich: Was hatte ich am Vorabend getan? – Start, Kapitel 1

Wir lachen, wenn er das erste Mal einen Computer sieht, oder seine Gedanken zu Facebook auf höchst amüsante Art und Weise äußert. Doch auch nachdenklich sollen uns die Worte des Autors machen. Auch ich hatte sehr viel Spaß an diesem Hörbuch. Für mich war es leicht, über einen trotteligen Hitler zu lachen, der kaum etwas auf die Reihe bekommt, und von den Medien schließlich instrumentalisiert wird. Ich weiß, dass es nicht sein kann, dass wir die Fehler der Vergangenheit wiederholen werden. Dazu sind wir doch inzwischen viel zu schlau – unsere Gesellschaft viel zu weit fortgeschritten, um noch einmal solch finstere…. oder… nicht?

Nein, nein. Das kann gar nicht sein. Schließlich geht es in diesem Buch ja um die Kritik an der heutigen Zeit. Oh ja, es ist selbstverständlich ein stilistisch auf seinen Zweck herunter gebrochener Hitler. Das erwähnte ich ja eingangs. Doch unter all dem Humor, welcher hin und wieder doch recht derb in die Wunden unserer Vergangenheit schlägt, findet sich immer auch ein Aspekt, von dem man tatsächlich sagen möchte: „Ja, würde Hitler heute tatsächlich noch leben, er würde es vermutlich wirklich so sehen.“

Und das hat mir dann doch ein wenig Angst gemacht. Wollte der Autor das? Ich weiß es nicht. Doch das spielt auch keine Rolle.

Sprachkunst vom Feinsten

Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich auf die Hörbuchversion aufmerksam gemacht wurde. Christoph Maria Herbst gibt Hitler als Sprecher seine Stimme, färbt seine Ausdrucksweise in typischer Stimmlage, betont die Worte, nein er schmettert sie durch den Äther und brachte mich ein ums andere Mal zum lauten Lachen. Wir alle haben schon in der Schule im Geschichtsunterricht Tonaufnahmen Hitlers von seinen Reden gehört, wir alle wissen, wie der Diktator seine Stimme als verbales Machtwerkzeug einsetzte, wie er seine Worte den Parteianhängern laut und mit der für ihn typischen Betonung entgegen spie. Christoph Maria Herbst imitiert diese bieder-anmutende Sprachfarbe mit dem gewissen ironischen Unterton, man kann gar nicht anders, als zu schmunzeln.

Bisweilen bricht die Stimmlage ein wenig ein – ich stelle mir das überaus anstrengend vor, die ganze Zeit auf das Rollen des R’s zu achten und die Stimme mit zurückgelehntem Kinn bewusst tief zu halten, während man gleichzeitig seinen Text sprechen muss. Chapeau Herr Herbst, das haben Sie hervorragend gemeistert! Grundsätzlich würde ich hier sagen, dass der Sprecher dieser Parodie somit zusätzlich einen humorvollen Charakter verleiht, würde man es selbst lesen, würde es wohl im Geiste einen ernsteren Grundton annehmen. Hat man das Hörbuch erst einmal beendet, wird man wahrscheinlich für alle Zeit Christoph Maria Herbsts einprägsame Stimmimitation im Kopf haben, sobald man sich an »Er ist wieder da« erinnert. Ein Wiedererkennungswert, den das Hörbuch sich absolut verdient hat! Witziges Detail: Habt ihr schon bemerkt, dass das Buch 19,33€ kostet? Ein kleines, wie ich finde gelungenes Zahlenspielchen.

Timur Vermes | Er ist wieder da
Hörbuchverlag: Lübbe Audio | 2012 | Sprecher: Christoph Maria Herbst
411 Minuten | 6 CDs | ISBN: 978-3-7857-4741-4 | 19,33€
zum Hörbuch beim Verlag

Mein Fazit: Eine rundherum gelungene Satire, ein politisch- und sozialkritischer Spiegel der Gesellschaft vor amüsantem Hintergrund eines zur Komödiantenrolle degradierten Hitlers, ein gewagtes Stück gesellschaftskritischer Literatur, das ich gerne gehört habe und jederzeit weiterempfehlen kann! Ich freue mich auf weitere Bücher von Timur Vermes! 

Meine Wertung: ♪ ♪ ♪ ♪ ♪ 5 von 5 Noten

 

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