Buchempfehlung: Marissa Meyer – Wie Monde so silbern (Buchrezension)

wie monde so silbern buchcover

Einen schönen Abend, liebe Leser!

Am heutigen Dienstagabend möchte ich euch den Auftakt einer Autorin vorstellen, deren fantastische Märchenadaption mich in den letzten Wochen vollkommen aus der Realität entführt und in eine fabelhafte Buchwelt hinein gesogen hat. Eine Welt, die mich alles um mich herum vergessen ließ, wirklich alles. Nachdem ich die letzte Seite von Marissa Meyers Debüt Wie Monde so silbern, das vor einigen jahren im Carlsen Verlag erschienen ist, umgeblättert hatte, musste ich mich erst einmal im Lesesessel zurücksinken lassen und atmete tief durch. Unzählige Emotionen durchströmten mich. Ich empfand das, was wir auf Twitter gerne als Buchausweh bezeichnen und fand nur ganz allmählich wieder in die Realität zurück. Kommen wir gleich zum Punkt. Ich muss euch nun unbedingt von diesem Leseerlebnis berichten.

Märchen trifft Dystopie

Solange sich Cinder zwischen Schrauben, Ölkannen und Getriebeteilen bewegen kann, ist ihre Welt halbwegs erträglich. Das junge Mädchen wächst in einem Viertel mitten von New Beijing auf, doch bis auf ihre Stiefschwester Peony wird sie von ihrer Adoptivfamilie nicht gerade freundlich behandelt. Als eines Tages ein junger unauffällig gekleideter Mann vor ihrem Stand auftaucht und Hilfe bei der Reparatur seines Androiden benötigt, ist das nun erst einmal nichts Außergewöhnliches. Doch es ist niemand geringeres als der Kronprinz Kai höchstpersönlich, der die junge Cinder um Hilfe bittet. In den folgenden Wochen gerät ihre Welt noch mehr aus den Fugen und Cinder muss aufpassen, dass sie in diesem Chaos nicht ihren Kopf verliert…

Wisst ihr, wann ich zuletzt mit einem Buch sprachlos, mit offen stehendem Mundwerk im Sessel saß, nachdem ich die letzte Seite umgeblättert hatte? Ich glaube, das passierte mir das letzte Mal bei Melanie Raabes »Die Falle«. Mein Anblick muss sehr amüsant gewesen sein, den Blicken des Herzmanns nach zu urteilen. Ich fand in jenem Moment auch gar keine passenden Worte, um diese intensiven Eindrücke zu beschreiben, welche ich nach dem Beenden des ersten Bandes dieser Tetralogie empfand. Es war eine Mischung aus Sprachlosigkeit ob der fabelhaften Idee, die sich Marissa Meyer für ihr Debütwerk überlegt hat, und Faszination für die Art und Weise, wie sie diese wahnsinnig coole Idee mit vielfältigen Figuren zum Leben erweckt hat.

Der Hype um Märchenadaptionen

Märchenadaptionen waren ja einmal ein absolutes Hype-Thema vor nicht allzu langer Zeit. Ich erinnere mich noch gut daran, als Bücher dieser Art wie Pilze aus dem Boden sprossen. Zahlreiche Kinder- oder Jugendbuch-, aber teilweise auch Belletristikverlage sprangen auf den Zug auf und boten ihre neuartige Version von Schneewittchen, Dornröschen und was nicht sonst noch alles aus der Märchenkiste hervorgekramt werden konnte, feil. Manches davon war richtig gut, anderes fiel eher in die Kategorie ‚muss ich jetzt nicht unbedingt gelesen haben‘. Um ehrlich zu sein gehe ich immer ein wenig auf Abstand, wenn ein Trend allzu sehr ausgeschlachtet wird. Das ist wohl auch mit einer der Gründe, warum ich erst jetzt, drei Jahre nach Erscheinen der Luna-Chroniken zum ersten Band der Tetralogie gegriffen habe. Selbst meine Tochter hatte sich die ersten beiden Bände schon einmal in der Bibliothek ausgeliehen und war sehr angetan. Die Neugier siegte vor zwei Tagen und ich habe es absolut nicht bereut.

Einprägsames Design

Nachdem ich nun also den ersten Band vor einigen Tagen beendet habe, kann ich gar nicht recht glauben, dass ich Marissa Meyers Debüt geschlagene drei Jahre schlichtweg ignoriert habe und griff sogleich zum zweiten und dritten Band. Das Cover erschien mir schon immer etwas sehr mädchenhaft, doch als ich alle vier Bände nun gemeinsam im Bücherregal stehen sah, muss ich ehrlich zugeben, Gefallen an diesem glänzenden, an Tapetenmuster erinnerndes Design gefunden zu haben. Die Gestaltung harmoniert perfekt mit der Geschichte. Wenn man die Bücher genauer betrachtet, stellt man fest, wie viel Liebe zum Detail hier an den Tag gelegt wurde. Unter dem Schutzumschlag findet sich das jeweils dominiernde Umschlagmotiv noch einmal eingeprägt auf dem Buchdeckel wieder. Jedes der vier Bände ist in vier „Bücher“ eingeteilt, welche mit einem auf schwarzem Papier gedruckten, kurzen, aber dennoch klar erkennbaren Märchenzitat auf den Inhalt der kommenden Kapitel vorbereiten.

Abgesehen von der Gestaltung hat mich allerdings vor allem der Inhalt von »Wie Monde so silbern« absolut verzaubert.

 

Meine Begeisterung für diese dystopisch-märchenhafte Buchreihe wuchs bereits nach wenigen Seiten. Ich fand mich irgendwo in einer Gasse in New Bejing wieder, 126 Jahre nach Ende des Vierten Weltkrieges. Die Menschheit siechte an einer mysteriösen Krankheit dahin, deren Auslöser noch nicht abgeklärt werden konnte, geschweige denn, dass man ein Heilmittel für diese tödlich verlaufende Seuche gefunden hätte. Ein bereits seit Jahren brodelnder Konflikt zwischen Erdbewohnern und Lunariern schwebt unheilvoll wie Damokles Schwert direkt über einem sehr lose geknüpften Friedensband.

Wow, was für eine grandiose Hauptfigur!

Zwischen futuristischen Hovercars und Netzbildschirmen, Schrauben und weiß lackierten Androiden lernte ich Cinder kennen. Schon auf den ersten Seiten überrascht mich das junge Mädchen sehr, denn Cinder ist eine in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliche, unglaublich komplexe und smarte Protagonistin. Unter all ihren Implantaten und computergesteuerten Funktionen verbirgt sich eine moderne Aschenputtelfigur, die trotz aller Widrigkeiten mit purer Willensstärke, Intelligenz, Witz und Herzblut für ihre Anerkennung als gleichberechtigtes Lebewesen kämpft. Sie hat es wahrlich nicht leicht und doch kämpft sie entschlossen weiter und wirft ihrem Umfeld dabei gerne einmal sarkastische Bemerkungen an den Kopf. Ich konnte das herausfordernde Blitzen in ihren Augen geradezu vor mir sehen. Ein ausgesprochen sympathischer Charakter. Und nicht nur die junge Dame ist mir sehr ans Herz gewachsen. Auch ihre nicht minder ungewöhnliche Gefährtin Iko hat nach kurzer Zeit Schmunzeln, Rührung und ein Gefühl von tiefem Verständnis hervorgerufen.

Fesselnd bis zum letzten Buchstaben

Dieses Band zwischen Charakteren und Leser, welches die Autorin bereits auf den ersten Seiten zu knüpfen beginnt, umschließt sich von Seite zu Seite dichter um mein Herz. Ich konnte nicht umhin, Seite um Seite umzublättern, immer weiter und weiter zu lesen. Wort für Wort saugte ich in mir auf und war gleichzeitig heilfroh, vorab keinen einzigen Blick auf Leseproben oder Rezensionen geworfen zu haben. Meine anfänglichen Befürchtungen, dass ich es mit einer kitschigen, typisch märchenhaften Lovestory zu tun bekommen würde – Prinz trifft auf wunderschönes Mädchen, sie verlieben sich und wenn sie nicht gestorben sind, dann… ihr wisst schon – wurden innerhalb weniger Seiten hinfort gefegt.

Vielmehr versuchte die Autorin zeitweise sogar, ihre ausgewählte Vorlage, das Märchen Aschenputtel, ein wenig aufs Korn zu nehmen. Liebe spielt in dieser modernen Märchenadaption im Dystopiegewand außerdem ohnehin nur eine nebensächliche Rolle. Vielmehr flattert das zarte Band zwischen den beiden Hauptfiguren wie ein sanfter Hauch im Hintergrund, während sich der Plot vor allem auf Cinders Suche nach ihrer Identität und dem innigen Wunsch nach Frieden und Genesung für Land und Menschen konzentriert. Eine wahre Wohltat, gerade für mich als Leser jenseits der Zielgruppe. Kitschfreie Zone, sehr schön.

Eine faszinierende, facettenreiche Schreibe!

Ich war zutiefst fasziniert von der ausgeprägten Eloquenz der Autorin. Marissa Meyer hatte eine unglaublich spannende Idee auf dem Reißbrett konstruiert und ließ diese Idee mit schillernden Figuren und umfangreich ausgearbeiteten Welten lebendig werden. Meine Güte, es war unfassbar, welch eine Vielzahl von Emotionen das Lesen in mir zum Vorschein brachte. Unglaublich intensive Emotionen. Binnen kürzester Zeit fühlte ich mich, als säße ich im Kino und mein Kopf würde soeben beginnen, die ersten Szenen auf die Leinwand zu projizieren. Marissa Meyer hat mich mit ihrem Debüt aus meiner von grauen Wolken, verhangenen Realität in eine facettenreich gezeichnete, wenn auch düstere Zukunftsvision mit märchenhaftem Zauber hineinkatapultiert, die mich alles um mich herum vergessen ließ.

 

Selbst die Tatsache, dass ich relativ früh erahnen konnte – und damit auch recht behalten sollte – welche Wege die Geschichte einschlagen würde, minderte das Lesevergnügen nicht im Geringsten. Ich war wirklich überrascht, wie geschickt die Autorin Spannung, humorvolle Elemente und gut ausbalancierten Informationsoutput zu einem intensiven Gesamtkonstrukt zusammenfügte, das nicht eine Minute Langeweile aufkommen ließ. Unter eben jenem Informationsüberfluss leiden leider Gottes sehr viele Reihenauftakte, doch die Debütautorin wob Weltenaufbau und Historie so geschickt in den Plot ein, dass ich innerhalb kürzester Zeit informiert wurde, ohne mich erschlagen zu fühlen. Bravorös gemeistert. Hut ab.

Der unwiderstehliche Sog der Luna-Chroniken

Kurze Zeit, nachdem ich das erste Buch zur Seite gelegt und diese Rezension geschrieben hatte, versank ich auch schon im zweiten Buch – und begann heute schließlich mit Band 3. »Wie Blut so rot« vermochte sich im Vergleich zum ersten Band sogar noch zu steigern, während ich mir zum dritten Band »Wie Sterne so golden« noch kein genaueres Bild machen kann. Die ersten Seiten fühlten sich aber bei beiden Folgebänden wie nach Hause kommen an. Ein wunderbares Gefühl.

Doch dies soll nun auch nicht Gegenstand dieser Besprechung sein. Ich möchte nur soviel verraten: Die Luna-Chroniken sind gerade im Begriff, sich zu einer meiner Lieblingsbuchreihen entwickeln. Ob sie dies schlussendlich schaffen werden, kann ich euch nach dem Finale berichten. Bis dahin möchte ich euch dringend empfehlen, schon einmal zum ersten Buch zu greifen und euch selbst ein Bild zu machen. Unbedingt!

PS: Danke an dich, liebe Jessi, dass du mir diese Bücher so sehr ans Herz gelegt hast, bis ich sie endlich las. Ich habe mich schon lange nicht mehr mit einer Reihe so wohl gefühlt wie mit dieser hier. Danke dafür 

PPS: Fällt euch auf, dass ich kein einziges Zitat herausgesucht habe? Tatsächlich habe ich gar keine Textstellen markiert, denn ich war vollkommen mit Lesen beschäftigt und habe mir keine Gedanken darüber gemacht.

Informationen zur Reihe ‚Die Luna Chronicles‘:
→ #1 Wie Monde so silbern
→ #2 Wie Blut so rot
→ #3 Wie Sterne so golden
→ #4 Wie Schnee so weiß

 

Marissa Meyer | Wie Monde so silbern | Reihe: Lunar Chronicles, Band 1
Carlsen Verlag | Dezember 2013 | ab 12 Jahren
Hardcover, 384 Seiten | 978-3551583352 | 18,90€
zum Buch beim Verlag

Mein Fazit: Marissa Meyers Debüt »Wie Monde so silbern« überraschte mich mit einem ausgefeilten, bildgewaltigen Weltentwurf und einer smarten, willensstarken Protagonistin, die mich von der ersten Seite an beeindruckte, zum Lachen und gleichzeitig zum Nachdenken brachte. Ihr intensives Bestreben danach, als Mensch und Individuum wahr genommen zu werden und zugleich nach ihrer eigenen Vergangenheit zu forschen, hat mich völlig aus meiner Realität in ihre dystopische Welt gesogen und selbst nach der letzten umgeblätterten Seite kaum losgelassen. So fand man mich bereits kurze Zeit nach dem Beenden des ersten Bandes wieder im Lesesessel hinter dem Cover des zweiten Bandes. Lasst euch eines gesagt sein: Macht nicht den gleichen Fehler wie ich und lasst diese Reihe links liegen. Es ist mitnichten noch eine dieser Märchenadaptionen, sondern ein vollkommen verzaubernder, facettenreicher, liebevoll gestalteter und knisterndspannender Reihenauftakt, der großes Lieblingsbuchpotential in sich birgt. Ich gebe hiermit eine Leseempfehlung von Herzen, denn dieses Buch ist der Inbegriff von ‚Welt aus, Buch an.‘

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